Interview mit Eylem Kaplan – Empowerment
Unser Verein heißt Haus der Frauen e.V. und ist in Zwickau aktiv. In unserer WhatsApp-Gruppe sind es ca. 56 Frauen, die überwiegend Migrationsbiographien haben. Wir kommen aus neun verschiedenen Ländern, die meisten derzeit aus Afghanistan. Offiziell haben wir nur 20 Mitglieder, weil es mir wichtig ist, dass alle wirklich verstehen was es bedeutet, ein Mitglied in einem Verein zu sein. Deswegen möchte ich bald eine Veranstaltung dazu organisieren, sodass die Frauen es nachvollziehen können und sich bewusst entscheiden, beizutreten und nicht einfach irgendwo ihre Unterschrift machen (eine kostenlose und barrierefreie Bildersammlung zu Vereinsbegriffen gibt es HIER).
In unserer Arbeit geht es um soziale, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen in der Stadt und im Landkreis Zwickau. Wir wollen einen Ort schaffen, an dem sie sich treffen können und Begegnung stattfindet, um beispielsweise über Probleme zu reden, Anschluss zu finden oder um einfach nur den Alltag miteinander zu teilen. Ich arbeitete vorher als Integrationskoordinatorin im Landkreis Zwickau und war im Gespräch mit verschiedenen Frauen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte. Sie erzählten mir, dass sie sich langweilten und es für sie nichts zu tun gäbe. Sie beschwerten sich: “Wir haben keinen Führerschein! Wir sind die ganze Zeit zuhause!” Ich lernte Frauen kennen, die seit fünf Jahren in Zwickau wohnten und nicht wussten, wo Kaufland oder das Einkaufszentrum ist. Viele Frauen können die deutsche Sprache nicht oder möchten Fahrradfahren lernen – es sind diese banalen Sachen! Sie möchten all dies tun, wissen aber nicht wo sie anfangen sollen. Oder sie trauen sich nicht. Wir waren sehr viele Frauen und der Bedarf war groß. Ich wollte unbedingt, dass sie raus aus dieser Isolation kommen, dass sie am sozialen Leben teilnehmen können und mit anderen Menschen in Kontakt kommen. Aufgrund der fehlenden Begegnungsorte konnten die Frauen sich nicht entfalten, sich nicht zeigen, nicht sichtbar werden. Um Selbstsicherheit und Selbstvertrauen aufzubauen, braucht es aber solche Orte, Menschen und Möglichkeiten. Das war mir sehr, sehr wichtig und schließlich die Motivation, den Verein zu gründen.
Am Anfang hatte auch ich keine Ahnung, wo ich anfangen sollte oder wer uns unterstützen könnte. Ich habe im Internet sehr lange recherchiert und bin schließlich auf DaMigra gekommen, von dort zu Beate Wesenberg vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften sowie zu Theresa Richter und Christian Herold vom Kulturbüro Sachsen. Sie haben mich alle sehr unterstützt und bei der Vereinsgründung begleitet.
Es stellten sich Fragen wie: Was braucht es für die Vereinsgründung? Wo fängt man an? Wie geht man vor? All das war nicht nur neu für mich, sondern auch herausfordernd, weil ich nicht wusste, wie ich es den Frauen erklären sollte. Eine solche Vereinskultur kannten die meisten nicht.
Um einen Verein zu gründen, braucht es sieben Gründungsmitglieder. Im Gründungsprotokoll haben wir unsere Satzung festgelegt, die dann zum Amtsgericht geschickt werden musste. Und das Ganze kostete auch was! Wir haben einen Antrag bei der Amadeu-Antonio-Stiftung gestellt, um Förderung zu erhalten. Dass er bewilligt wurde, war wirklich toll! Dann blieb es an uns, einen Ort zu suchen [Eine Leipziger Plattform zum Teilen und Verleihen ist das DEPOT). Das stellte sich ebenfalls als sehr, sehr schwierig heraus, obwohl so viele Gebäude und Ladenflächen in Zwickau leer stehen. Bei all dem war das Wichtigste, das eigene Ziel vor Augen zu haben! Dass man weiß, warum man das macht und auch die entsprechende Struktur dafür schafft. Dabei haben wir uns gegenseitig motiviert. Mich hat beispielsweise motiviert, dass die Frauen von Anfang an mitgemacht haben, Energie und eine positive Einstellung hatten. Ich kannte eine Frau, die ich aufgrund der Pandemie über ein Jahr lang nicht gesehen hatte. Wir hatten inzwischen eine Räumlichkeit für unseren Verein. Und an einem Tag rief sie mich ganz unerwartet an und sagte: “Eylem, wir haben gehört, dass du einen Verein gegründet hast und viel zu tun hast. Es müsse renoviert werden! Warum rufst du uns nicht an? Wir helfen dir!” Und nach zwei Tagen kamen 10 bis 15 Frauen und haben geholfen – ich hatte mit höchstens zwei Frauen gerechnet! Da war so eine Energie, so eine Kraft und Solidarität.
Heute ist unser Verein mittwochs, donnerstags, freitags und sonntags geöffnet. Dann laden wir zu Kaffee-und-Kuchen-Nachmittagen ein oder veranstalten Musik- und Tanzkurse. Die Frauen sollen einfach vorbeikommen können, sich Tee und Kaffee machen, sich wohl- und zugehörig fühlen. Und der Plan geht auf! Natürlich gibt es auch feste Termine und Veranstaltungen. Wenn wir Bildungsveranstaltungen organisieren und zum Beispiel über das politische System in Deutschland und Sachsen sprechen, sind es feste Zeiten. In jedem Fall sollen aber die Frauen stets zu Wort kommen und sich austauschen. Über Politik oder die verschiedenen Lebensumstände, die sie erfahren haben beispielsweise. Es soll ganz, ganz niedrigschwellig sein. Unsere Kursreihen möchten wir in Zukunft um Yoga- oder Schwimmkurse erweitern. Sehr viele Frauen wünschen sich schon seit Anfang an Schwimmkurse. In unserem Verein ist es so, dass wir alle zusammen besprechen, was wir brauchen, was wir möchten, wo es Bedarf gibt oder was einfach schön wäre, anzubieten. Inzwischen sind wir ein Team. Anfangs war ich eher allein und musste auch Entscheidungen allein treffen – zum Teil, weil die Frauen mich nicht verstanden, zum Teil, weil sie nichts entscheiden wollten. Inzwischen ergreifen sie die Initiative: “Eylem, mach mal das! Lass uns das machen! Nee, das wollen wir nicht. Das ist es besser!” Sie sind eigenständiger geworden.
Verein, das heißt für mich… Empowerment, Stärke, Kraft, Selbstvertrauen, Vertrauen und Unterstützung.
Steckbrief
Name
Haus der Frauen e.V., Zwickau (Sachsen)
Adresse
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Kontakt
https://www.instagram.com/haus.der.frauen/
Vereinsgründung
2021
Zielgruppe
Frauen (vor allem mit Migrationsgeschichte) Familien
Inhaltliche Schwerpunkte
Emanzipation und Selbstermächtigung, Begegnung und Austausch, Gesellschaftliche Teilhabe, Bildungspolitische Arbeit, Sichtbarmachung migrantischen Lebens